SEOUL / MÜNCHEN (IT BOLTWISE) – Die Frage der militärischen Kontrolle im Kriegsfall ist für Südkorea von entscheidender Bedeutung. Seit Jahrzehnten strebt das Land an, die operative Kontrolle über seine Streitkräfte im Kriegsfall von den USA zurückzuerlangen. Diese Thematik gewinnt vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel und der sich wandelnden internationalen Beziehungen zunehmend an Bedeutung.
Die jährlichen gemeinsamen Militärübungen zwischen den USA und Südkorea sind ein wiederkehrender Anlass für Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Während Nordkorea diese Manöver als Vorbereitung auf eine Invasion interpretiert, verfolgt Südkorea damit auch das Ziel, die Kontrolle über seine Streitkräfte im Kriegsfall zurückzuerlangen. Diese sogenannte OPCON-Übertragung ist ein langjähriges Anliegen vieler Südkoreaner, da sie als Symbol für vollständige nationale Souveränität und militärische Unabhängigkeit gilt.
Seit dem Koreakrieg 1950 steht ein US-Kommandeur an der Spitze der südkoreanischen Streitkräfte. Während die Kontrolle in Friedenszeiten 1994 an Seoul zurückgegeben wurde, behält der Kommandeur der US-Streitkräfte in Korea weiterhin die Kontrolle im Kriegsfall. Diese Situation wird von vielen als ungleiches Machtverhältnis innerhalb der US-südkoreanischen Allianz wahrgenommen, das es zu ändern gilt.
Die Diskussion um die OPCON-Übertragung hat in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen, insbesondere unter der Präsidentschaft von Moon Jae-in, der sich stark für eine schnelle Rückgabe der Kontrolle einsetzte. Doch politische Turbulenzen und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, die gemeinsame Militärübungen erschwerten, verzögerten den Prozess. Der aktuelle Präsident Yoon Suk-yeol hat die OPCON-Übertragung nicht als Priorität gesetzt, doch die geopolitischen Entwicklungen könnten dies ändern.
Mit der möglichen Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus könnte sich die Dynamik erneut verschieben. Trumps „America First“-Politik und seine Skepsis gegenüber internationalen militärischen Verpflichtungen könnten den Druck auf Südkorea erhöhen, mehr Verantwortung für seine Verteidigung zu übernehmen. Eine frühere Einigung über die OPCON-Übertragung wurde bereits 2017 getroffen, was zeigt, dass die USA unter Trump bereit sein könnten, diesen Schritt zu unterstützen.
Die OPCON-Übertragung könnte auch als diplomatisches Signal an Nordkorea dienen, das die US-Einmischung in südkoreanische Militärangelegenheiten seit langem kritisiert. Eine solche Geste könnte die Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea erleichtern und die Grundlage für eine dauerhafte Friedenslösung auf der Halbinsel schaffen.
Dennoch gibt es erhebliche Hindernisse für die OPCON-Übertragung. Die politische Instabilität in Südkorea und Zweifel an der militärischen Bereitschaft des Landes werfen Fragen auf. Jüngste Vorfälle, wie der versehentliche Abwurf von Bomben durch südkoreanische Kampfjets, haben die Kompetenz der Streitkräfte infrage gestellt und die Diskussion über Sicherheitsprotokolle neu entfacht.
Ein weiteres Problem ist die Besorgnis, dass die Übertragung der Kontrolle zu einem Abzug der US-Truppen führen könnte, was die Allianz schwächen und die Sicherheit Südkoreas gefährden würde. Diese Ängste wurden durch Trumps Wiederwahl verstärkt, da er wiederholt gefordert hat, dass Seoul mehr Verantwortung für seine Verteidigung übernimmt.
Die geopolitischen Spannungen in der Region, insbesondere zwischen den USA und China, spielen ebenfalls eine Rolle. Eine souveräne südkoreanische Militärführung könnte sich stärker an chinesischen Sicherheitsinteressen orientieren und weniger in die US-Strategien in Nordostasien integriert sein. Dies könnte die Machtbalance in der Region beeinflussen und die OPCON-Frage weiter verkomplizieren.
Angesichts dieser komplexen geopolitischen Lage müssen Seoul und Washington klare Kommunikationswege über die Bedingungen und den Zeitplan der OPCON-Übertragung aufrechterhalten. Ein transparenter Fahrplan mit klaren Meilensteinen ist entscheidend, um die Allianz zu stärken und die regionale Stabilität zu gewährleisten.
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