MÜNCHEN (IT BOLTWISE) – Die Europäische Union hat kürzlich eine bedeutende Entscheidung getroffen, indem sie die Pläne für eine eigenständige KI-Haftungsrichtlinie zurückgezogen hat. Diese Entscheidung wurde vom Handelsverband Deutschland (HDE) positiv aufgenommen, da sie als Schritt gegen übermäßige Regulierung und für die Förderung von Innovationen im Bereich der Künstlichen Intelligenz gesehen wird.

Die Europäische Union hat mit dem AI-Act ein umfassendes Regelwerk für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz geschaffen, das weltweit Beachtung findet. Doch die Frage der Haftung von KI-Systemen bleibt ein umstrittenes Thema. Die Europäische Kommission hat beschlossen, den Vorschlag für eine eigenständige KI-Haftungsrichtlinie zurückzuziehen, was vom Handelsverband Deutschland (HDE) als positive Entwicklung gewertet wird. Der HDE sieht darin ein Zeichen gegen übermäßige Regulierungsfreude und einen Fokus auf Umsetzbarkeit und Innovationsförderung.

Die Entscheidung wirft jedoch Fragen auf: Wie belastbar ist das bestehende Haftungsrecht, und welche Risiken birgt die regulatorische Lücke? Der HDE argumentiert, dass es derzeit keinen Bedarf für zusätzliche Haftungsregeln gibt. Laut Stephan Tromp, Vizepräsident des HDE, sind in der Praxis bisher keine Regelungslücken aufgetreten. Das bestehende Haftungsrecht, insbesondere die kürzlich reformierte Produkthaftungsrichtlinie, sei ausreichend, um auch KI-Systeme abzudecken.

Die Produkthaftungsrichtlinie, die nun in nationales Recht überführt werden muss, unterstützt Tromps Argumentation. Es sei wichtig, die Auswirkungen dieser Reform abzuwarten, bevor neue Regulierungen eingeführt werden. Für den Handel, der zunehmend KI in Bereichen wie Warenflüssen, Prognosen oder Kundenkontakt einsetzt, könnte eine zusätzliche Regulierung ein Innovationshemmnis darstellen.

Im Zentrum der aktuellen EU-KI-Politik steht der AI-Act, das erste umfassende KI-Gesetz weltweit. Es basiert auf einem risikobasierten Ansatz und legt fest, welche Anforderungen KI-Systeme je nach ihrem Gefahrenpotenzial erfüllen müssen. Besonders strenge Vorgaben gelten für Systeme mit hohem Risiko, während verbotene Anwendungen wie soziales Scoring oder emotionale Manipulation bereits seit Februar 2025 untersagt sind.

Für viele Unternehmen und Händler stellt sich die Frage, wen der AI-Act betrifft. Der Digitalverband Bitkom bietet ein Tool an, das Orientierungshilfe geben soll. Für den HDE hat die Umsetzung dieses Regelwerks oberste Priorität. Eine zusätzliche Haftungsrichtlinie könnte nicht nur zu rechtlichen Überschneidungen führen, sondern auch Unsicherheit bei Unternehmen schaffen, die ohnehin vor großen Herausforderungen bei der Umsetzung des AI-Acts stehen.

Die Rücknahme des Richtlinienvorschlags ist nicht nur ein politisches Signal, sondern auch eine Entscheidung mit weitreichenden rechtlichen und ökonomischen Implikationen. Kritiker bemängeln, dass ohne spezifische KI-Haftungsregeln unklar bleibt, wer im Schadensfall haftet, insbesondere wenn Systeme autonom agieren oder Entscheidungen auf Grundlage von undurchschaubaren Algorithmen treffen. Zwar können bestehende Haftungsregime in vielen Fällen greifen, doch ob sie auch für komplexe KI-Fälle geeignet sind, bleibt umstritten.

Die Rücknahme des Vorschlags kann als Hinweis auf eine strategische Neuausrichtung der EU-Politik verstanden werden: weg von einer präventiven, alles regelnden Normierung hin zu einer flexibleren, evaluierenden Politikgestaltung. Dies entspricht auch der Erwartung vieler Wirtschaftsverbände, die eine innovationsfreundliche Umsetzung des AI-Acts fordern. Die EU-Kommission scheint erkannt zu haben, dass Rechtssicherheit nicht allein durch neue Richtlinien entsteht, sondern auch durch klare, praktikable Rahmenbedingungen bei der Umsetzung bestehender Gesetze.

Die Herausforderung liegt nun darin, die offene Flanke bei der Haftung nicht dauerhaft offenzulassen. Vielmehr sollte die Entwicklung von Rechtsprechung und Praxis genau beobachtet werden und bei Bedarf gezielt nachgesteuert werden. Ein vorschneller Rückzug aus der Haftungsdebatte wäre genauso falsch wie eine vorschnelle Normsetzung.

Die Rücknahme des Vorschlags für eine KI-Haftungsrichtlinie ist kein Freibrief für regulatorisches Nichtstun, sondern ein bewusst gesetzter Schritt zur Entlastung und Konzentration auf das Wesentliche. Der AI-Act bietet bereits ein umfassendes Regelwerk, dessen konsequente Umsetzung höchste Priorität haben muss. Gleichwohl darf der Blick für mögliche Lücken im Haftungsgefüge nicht verloren gehen. Insofern ist das Vorgehen der EU klug, wenn es von einer wachsamen, praxisnahen Begleitung flankiert wird.

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