Künstliche Intelligenz und lebende Zellen als programmierbare Organismen: Forscher bauen erstmals lebende Roboter namens Xenobots - IT BOLTWISE® x Artificial Intelligence

MÜNCHEN/VERMONT (IT BOLTWISE) – Wissenschaftler und die Presse reden von einer komplett neuen Art von Lebensform: Ein Forschungsteam um Josh Bongard von der University of Vermont hat aus Froschzellen von einem Computer entworfene, weniger als einen Millimeter große lebende Roboter erschaffen.

Die sogenannten „Xenobots“ sind in der Lage, sich fortzubewegen und sich selbst zu heilen bzw. zu regenerieren. Die kleinen Roboter sollen sogar eine kleine Last aufnehmen und transportieren können, etwa ein Medikament oder Müll aus dem Meer. Es seien neuartige lebendige Maschinen, sagt Bongard in einer Pressemitteilung: „Sie sind weder ein traditioneller Roboter wie man sie kennt, noch eine bekannte Tierart.“ Stattdessen habe man es mit lebenden, programmierbaren Organismen zu tun, so Bongard. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forscher im Fachblatt „PNAS“.

Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten daran, Organismen so zu verändern, dass sie bestimmte Eigenschaften annehmen. Dafür nutzen sie zum Beispiel gentechnische Methoden wie die Gen-Schere CRISPR/Cas. Bioingenieure versuchen zudem, Mini-Organe in Laboren heran zu züchten, in der Fachsprache sogenannte Organoide – etwa für Stammzelltherapien oder um Medikamente ohne Tierversuche testen zu können. Der Wissenschaftler Bongard und seine Kollegen gehen mit ihren kleinen Xenobots einen etwas anderen Weg, für den sie Robotik und Synthetische Biologie kombinieren.

Allgemein gesagt funktioniert ein Xenobot so: Ein Computer stellt ein paar hundert Zellen zu verschiedenen Formen zusammen, immer mit dem Ziel, dass der so entstehende Zellhaufen eine von den Wissenschaftlern gestellte Aufgabe meistern kann, etwa sich gezielt in eine Richtung zu bewegen. Dafür verwendeten die Forscher zwei verschiedene Zelltypen: pluripotente Stammzellen sowie Vorläufer von Herzmuskelzellen.

„Die Stammzellen sind mechanisch statisch, aber sie haben das Potenzial, eine Art Gewebe zu bauen. Herzmuskelzellen dagegen können pulsieren und haben daher eine Bewegungskomponente“, sagte der Biophysiker Friedrich Simmel vom Lehrstuhl für Physik Synthetischer Biosysteme an der Technischen Universität München gegenüber dem Tagesspiegel. Basierend auf diesen Eigenschaften könne man sich überlegen, was ein Material tut, welches einerseits eine bestimmte Hülle bildet und an verschiedenen Stellen zuckt.

Zellhaufen, die Medikamente transportieren können
Wenn die Mini-Roboter sich nicht so bewegten, wie der Computer es vorhergesagt hatte, ließen die Wissenschaftler den Algorithmus das Modell erneut berechnen auf Basis von künstlicher Intelligenz. So kreierten sie nicht nur Roboter, die sich langsam geradeaus fortbewegten, sondern auch solche, die sich kreisförmig bewegten und dabei sogar kleine Partikel einsammeln konnten – sowohl einzeln als auch in einer Gruppe an Mini-Robotern. Die Wissenschaftler bauten auch Exemplare mit einem Loch in der Mitte, um den Widerstand zu verringern. Zumindest in einer Computersimulation konnte eine solche Tasche auch dazu benutzt werden, Objekte zu transportieren, etwa Medikamente.

Besonders für Erstaunen zeigen sich die Wissenschaftler darüber, dass die Herzmuskelzellen ohne weiteres Zutun der Forscher offenbar untereinander kommunizieren und sich dadurch gezielt bewegen konnten. Die Xenobots behielten nicht nur ihre vorgegebene Form, sondern sie reparierten sich auch selbstständig und gegenseitig, nachdem die Forscher sie fast zerteilt hatten. „Das ist etwas, was mit konventionellen Maschinen nicht funktioniert“, sagte Bongard der Presse. Wenn der Lebenszyklus der Xenobots endet, lassen sie im Gegensatz zu Technologien aus Stahl, Beton oder Plastik nach ihrem Einsatz keinen Müll zurück. „Sie sind vollständig biologisch abbaubar“, sagt Bongard. „Wenn sie ihre Arbeit getan haben, sind es nur noch tote Hautzellen.“

Xenobots könnten helfen, Krebszellen aufzuspüren
Er und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter können sich verschiedene Anwendungen der kleinen Roboter vorstellen. Xenobots könnten etwa zielgenau Medikamente zu bestimmten Stellen im menschlichen Körper liefern oder arteriosklerotische Plaques aus dem Inneren von Arterien entfernen. Aber auch bei der Beseitigung giftiger oder radioaktiver Abfälle könnten sie hilfreich sein, schreiben die Forscher. Mit der aktuell sehr rasanten Entwicklung beim Maschinellen Lernen, der künstlichen Intelligenz oder beim 3D-Druck von Geweben würden sich bald noch viele weitere Möglichkeiten und Aufgaben auftun, welche die Mini-Roboter ausführen könnten. Einige Aktivisten und Forscher reden sogar davon, dass Milliarden dieser Roboter das Meer von Plastik befreien könnten. Sie träumen auch schon davon, die Xenobots etwa mit Proteinen auszustatten, um etwa Krebszellen im menschlichen Körper zu erkennen, oder sie sich selbst reproduzieren zu lassen, damit sie längere Zeit im Körper eingesetzt werden könnten.

Bis dahin sei der Weg allerdings noch sehr weit, meint der Münchner Biophysiker Simmel im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Auch, weil die Xenobots derzeit noch zu groß seien, um sie wirklich in den Körper einzuschleusen. Insgesamt bezeichnet er die Arbeit der amerikanischen Wissenschaftler aber als „beeindruckend“. „Sie zeigt, wie man Konzepte aus der Robotik mit solchen aus der Biologie verbinden kann.“ Statt traditionellen elektromechanischen Komponenten hätten die Wissenschaftler lebendige Zellen verwendet, die bestimmte mechanische Eigenschaften haben. Ob es sich dabei allerdings um die ersten „lebenden Roboter“ handelt, wie die Forscher schreiben, bezweifelt Simmel. „Sie bestehen aus Zellen und bewegen sich, aber das ist eine sehr weit gefasste Definition“, meint der Experte.

Die Xenobots lassen sich allerdings auch nutzen, um grundlegende Fragen der Biologie zu erforschen. Zum Beispiel: Wodurch wird eigentlich bestimmt, auf welche Art Zellen kooperieren? Die Forscher hoffen, dass die Bots verstehen helfen, wie Zellen sich organisieren, Informationen verarbeiten und speichern.

Was also einen Xenobots, der zu einhundert Prozent aus Frosch-DNA besteht, von einem „echten“ Frosch unterscheidet.


Forscher bauen erstmals lebende Roboter namens Xenobots (Foto: Pressematerial)
Forscher bauen erstmals lebende Roboter namens Xenobots (Foto: Pressematerial)



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